Das Weltmuseum Wien

Das Weltmuseum Wien hat eine lange Geschichte. Die älteste ethnographischen Sammlungen des Museums befanden sich bereits im 16. Jahrhundert in Österreich. Mit Anfängen im Schloss Ambras in Tirol ist die Sammlung von 200.000 Objekten heute in der Neuen Burg im Herzen Wiens zuhause.

16. bis 18. Jahrhundert

16. bis 18. Jahrhundert – eine habsburgische Privatsammlung

Adel, Geistlichkeit und Bürgertum pflegten ab der Renaissance Interesse an exotischen und kuriosen Objekten. Dazu gehörten natürlich Gegenstände außereuropäischer Herkunft und Naturalien von noch unbekannten Erdteilen, mit denen man lange nicht wirklich vertraut war. So wurde ein mexikanischer Federschild als chinesischer Sonnenschirm, ein karibischer Gürtel zuerst als ostindisch, dann als afrikanisch, bezeichnet. Elfenbeinschnitzereien aus Afrika sollten „indianisch“ – das heißt asiatisch – sein, ein Zeichenbuch aus dem Großen Seengebiet aus Aotearoa (Neuseeland) stammen.

Die vielleicht berühmteste Sammlung ihrer Zeit war die Rüst-, Kunst und Wunderkammer Erzherzogs Ferdinand II. (1529–1595) im Felsenschloss Ambras bei Innsbruck. „Raritäten“ dieser Art wechselten in einem internationalen Netzwerk häufig ihre Besitzer, sei es als Geschenk oder durch Verkäufe. Zahlreiche Gegenstände aus der frühen Kolonialzeit, die in diesen Privatsammlungen verwahrt wurden, sind verschollen; erhaltene Werke gingen in Museumssammlungen über, so auch ins heutige Weltmuseum Wien.

19. Jahrhundert

19. Jahrhundert – öffentliche habsburgische Privatsammlung

Im frühen 19. Jahrhundert gründete Kaiser Franz I. von Österreich (1768–1835) die ethnographische Sammlung als Bestandteil der kaiserlichen Naturalienkabinette. Die erste Neuerwerbung dafür war ein Teil der pazifischen und nordamerikanischen Sammlung von James Cook, welche im Auftrag des Kaisers 1806 in London ersteigert wurde. Anlässlich der Hochzeit seiner Tochter Erzherzogin Leopoldine (1797–1826) mit dem in Brasilien lebenden portugiesischen Kronprinzen und späteren brasilianischen Kaiser, entsandte Kaiser Franz I. im Jahr 1817 eine wissenschaftliche Expedition nach Brasilien, die umfangreiche naturhistorische und ethnologische Sammlungen zusammentrug. Für den tatsächlichen Erwerb der Gegenstände und für das Reisen mit Maultierzügen und Bootsfahrten mussten die Teilnehmer auf die Unterstützung lokaler Vermittler, Helfer und Sklaven zurückgreifen. Durch sukzessive Transporte gelangten Sammlungsgegenstände dieser Expedition nach Wien. Aufgrund des daraus resultierenden Platzmangels in der Wiener Hofburg wurde im Jahr 1821 vom Kaiser ein Brasilianisches Museum in der Johannesgasse in Wien gegründet, das allerdings schon 1836 – ein Jahr nach dem Tod des Kaisers – wieder geschlossen wurde. Erneut gemeinsam mit naturhistorischen Artefakten, war in einem der 12 Räumlichkeiten dieses Museums die ethnografische Sammlung präsentiert. Von 1838 bis 1840 fand das kaiserliche, ethnologische Erbe für kurze Zeit ein Zuhause im k. k. ethnographischen Museum – gemeinhin als „Kaiserhaus“ bezeichnet – in der Ungargasse in Wien. Weiterhin zusammen mit Naturalien waren hier bereits 22 Vitrinen mit Ethnografika eingerichtet.

Jahrhunderte nach den ersten Weltumsegelungen der westeuropäischen Staaten folgte in den Jahren 1857 bis 1859 die österreichische Fregatte Novara deren Vorbild. Neben diplomatischen und wirtschaftlichen Zielen stand die Expedition im Zeichen der wissenschaftlichen Forschung. An den Halteplätzen wurden ethnografische Sammlungen zusammengetragen. Verschiedene Schiffe der österreichisch-ungarischen Marine folgten diesem Beispiel in späteren Jahrzehnten und sammelten im Sog des Kolonialismus für das Museum.

1889

1889 – Institutionalisierung im Naturhistorischen Museum Wien

Nach Paris, London und Berlin wurde im Jahr 1870 auch in Wien eine Anthropologische Gesellschaft gegründet und gleichzeitig beschlossen, ein anthropologisch-urgeschichtliches Museum samt Bibliothek einzurichten. Wie die kaiserlichen ethnographischen Sammlungen zuvor, so war auch dieses Museum mit Raumproblemen konfrontiert. Der Neubau des k. k. naturhistorischen Hofmuseums war die Lösung für die ethnologischen Sammlungen des Kaiserhauses und dieser Gesellschaft. In diesem 1889 eröffneten Museum, das sich mit seiner Betonung von Charles Darwins Evolutionstheorie von der Weltdeutung der römisch-katholischen Kirche emanzipierte, wurde eine anthropologisch-ethnographische Abteilung eingerichtet an deren Aufbau sich die Anthropologische Gesellschaft beteiligte. In dieser Abteilung war neben Ethnologie und Anthropologie auch die europäische Prähistorie vertreten. Das zugrundeliegende Ordnungsprinzip war eine evolutionistische Hierarchie, basierend auf einem „Rassen“-Konzept – von den sogenannten außereuropäischen „Naturvölkern“ und den vorhistorischen europäischen Völker als Vorstufen, zu den vermeintlich höheren Entwickelungsphasen des Menschen. Diese Selbsterklärung der Welt demonstrierte die Vorstellung einer Vormacht Europas, den Kolonialismus und den Triumph der modernen Wissenschaft. Einige dieser Klassifizierungsschemata, z. B. die Vorstellung von verschiedenen menschlichen "Rassen" und die Unterscheidung zwischen Volkskunst (einfach und statisch), Kunst und Hochkultur (komplex und dynamisch), sind bis heute gängig. Aufgrund der Konkurrenz durch andere Museen und Sammler versuchte die Abteilung, die Sammlungen schnellstmöglich zu erweitern, um dem damals erwarteten Verschwinden bestimmter Kulturen zuvor zu kommen und Sammlungslücken zu schließen; eine damals auch im Ausland übliche Praxis. So beabsichtigte man das materielle Erbe der Menschheit sicher zu stellen um ein umfassendes Studium ihrer Kulturgeschichte zu ermöglichen. Wie in früheren Zeiten erhielten „exotische“ Gegenstände weiterhin die Aufmerksamkeit des Museums.

Da ausreichende Finanzen fehlten, um Sammlungen käuflich zu erwerben, wurden alternative Strategien gewählt: Einzelpersonen wurden angeregt, dem Museum Objekte zu schenken, mit Privatsammlern und Museen wurde getauscht. Mitglieder des diplomatischen Korps und Kolonialbeamte trugen profund zur Erweiterung der Museumssammlung bei. Obwohl Österreich-Ungarn keine Kolonialmacht wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland war, war das Museum Nutznießer des Kolonialismus. Ein Beispiel ist die umfangreiche Sammlung aus dem Königreich Benin, welche von britischen Truppen erbeutet und dem Museum von einem Mäzen geschenkt wurde.

1928

1928 – Museum für Völkerkunde

Das Corps de Logis der Wiener Hofburg hätte ursprünglich Repräsentationsräume des Kaiserhauses beherbergen sollen, wurde aber bereits als Museumbau für die Weltreisesammlung von Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este (1863–1914) realisiert und 1912 geöffnet.

Nach dem Ersten Weltkrieg verlegte das Naturhistorische Museum aus Platzgründen in seinem Hauptgebäude auch die ethnografische Abteilung in das Corps de Logis, wo diese mit der Sammlung des Erzherzogs zusammengeführt wurde. Im Jahr 1928 wurden die beiden Sammlungen wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Abteilung eröffnete 1928 als Museum für Völkerkunde. Die Medien berichteten, dass das Museum für Völkerkunde mit den nahegelegenen kunst- und naturhistorischen Museen ein „Dreigestirn“ bildete, das weltweit seinesgleichen suche. Diese kulturelle Infrastruktur untermauerte die Stellung des Kaiserhauses sowie ihre Sammeltätigkeit.

1938–1945

1938–1945 – nationalsozialistische Ausrichtung

Vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 war ein Teil der Mitarbeiter des Museums eng mit den (verbotenen) Nationalsozialisten verbunden. In der Zeit des Nationalsozialismus erhielt die Kolonialpolitik anfänglich neue Aufmerksamkeit; veranschaulicht durch die deutsche Kolonialausstellung des Reichskolonialbundes in der Neuen Burg im Jahr 1940. Auch das Ausstellungsprogramm war auf die nationalsozialistische Ideologie hin ausgerichtet mit Präsentationen wie Das Hakenkreuz in Ostasien und einer kulturvergleichenden Sonderausstellung; die Großostasien-Ausstellung in Zusammenarbeit mit den japanischen diplomatischen Vertretungen in Berlin und Wien wurde kriegsbedingt nicht realisiert.

Während des Krieges wurden die wichtigsten Bestände des Museums aus den Schausälen genommen und in Kellerdepots und in Bergungsorten in Wien und am Land in Sicherheit gebracht. In den Jahren von 1938 bis 1945 erwarb das Museum, wie auch andere staatliche Institutionen, „arisierte“ Sammlungen. Diese unter Zwang abgegebenen meist jüdischen Privatsammlungen wurden entweder von Behörden an das Museum übertragen oder verschleiert als (günstige) Ankäufe oder Schenkungen inventarisiert.

Das Missionshaus St. Gabriel, wurde im Rahmen des nationalsozialistischen Klostersturms aufgelöst; dessen ethnografischen Sammlungen wurden dem Museum für Völkerkunde zugewiesen. Nach Kriegsende reklamierte die Ordensleitung die Rückgabe ihres Eigentums, was umgehend erfolgte.

Als Ende des 20. Jahrhunderts die Kommission für Provenienzforschung gegründet wurde, überprüfte auch das Museum für Völkerkunde die in jenen Jahren (ab 1933) akquirierten Sammlungen in Bezug auf unrechtmäßige Erwerbungen. Mehrere Restitutionen erfolgten. Zuvor waren bereits die einverleibten Bestände aus dem alten Jüdischen Museum in Wien und aus verschiedenen Synagogen an die Israelitische Kultusgemeinde Wien restituiert worden. Diese kamen später in die Verwaltung des neugegründeten Jüdischen Museums Wien.

1945

1945 – Neuausrichtungen

Das Museum fand sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der für mitteleuropäischen Museen recht ungewöhnlichen Lage, dass ihm die Sammlungen trotz der Kriegswirren vollständig erhalten geblieben waren. 1946 eröffnete das Museum die national geprägte Ausstellung Österreicher als Sammler und Forscher in der Welt und sah zukünftige kulturvergleichende Ausstellungen vor, zur Vertiefung „des dem Österreicher eigenen Verständnis für die Eigenart fremder Völker“, so die Wiener Zeitung. Im gleichen Jahr 1946 wurde ein Freundesverein – heute Weltmuseum Wien Friends – ins Leben gerufen und eine ethnologische Fachzeitschrift – heute Archiv Weltmuseum Wien – veröffentlicht.

In den folgenden Jahrzehnten wurde die Sammlung durch gezielte Sammlungsreisen von Kurator*innen des Museums besonders in Hinblick auf Alltagskultur erweitert. Ein wesentlicher Impuls für das Museum kam durch die Einrichtung und Erweiterung von Restaurierungswerkstätten. Damit ging auch die Professionalisierung der Abteilung Konservierung einher. Ab den 1960er Jahren gab es bis in die 1980er Jahre auch jährlich Ausstellungen in den Außenstellen Schloss Matzen, Kartause Gaming und Schloss Scharnstein.

2013

2013 – Aus dem Museum für Völkerkunde wird das Weltmuseum Wien

Nachdem die ethnologischen Sammlungen von den Naturalienkabinetten ab 1876 im k. k. naturhistorischen Hofmuseum untergebracht waren, folgte nach dem Zweiten Weltkrieg

eine Periode der Selbstständigkeit als Museum für Völkerkunde. Im Jahr 2001 wurde das Museum unter der administrativen Verantwortung des Kunsthistorischen MuseumsWien und gemeinsam mit dem Theatermuseum in einer wissenschaftlichen Anstalt untergebracht. Nach den früher verwendeten Bezeichnungen wie k. k. ethnographische Sammlung, k. k. ethnographisches Museum, k. k. anthropologisch-ethnographische Abtheilung, k. k. ethnographische Sammlung, ethnographische Abteilung und Museum für Völkerkunde erlebte das Museum im Jahr 2013 die nächste Namensänderung in: Weltmuseum Wien.

Von den ersten Ausstellungen als Museum für Völkerkunde im Jahr 1928 bis heute wurden mehr als 700 Ausstellungen und Präsentationen im Museum organisiert. Im Jahr 2017 wurde die Schausammlung des Museums neueingerichtet.

Heute

Heute

Das Museum bemüht sich heute um eine kritische Aufarbeitung seiner Vergangenheit, insbesondere seiner Verstrickungen mit dem Kolonialismus, dem Nationalsozialismus und der Geschichte der Ethnologie. Es ist bestrebt, die Geschichte seiner Sammlungen aus kolonialen Kontexten in Zusammenarbeit mit Personen und Institutionen aus den Herkunftsgesellschaften aufzuarbeiten. Die MitarbeiterInnen des Museums haben auch eine aktive Rolle bei der Entwicklung einer österreichischen Politik zur Rückgabe von Kulturgütern übernommen. In der Vergangenheit wurden unter anderem menschliche Überreste in den Jahren 1985 und 2015 nach Aotearoa (Neuseeland) zurückgegeben.

In seiner Beschäftigung mit Fragen der Vielfalt in der menschlichen Kulturbildung versteht sich das Museum als Plattform des Austauschs: Offen und selbstreflektiert im heute für morgen.

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