Nach Paris, London und Berlin wurde im Jahr 1870 auch in Wien eine Anthropologische Gesellschaft gegründet und gleichzeitig beschlossen, ein anthropologisch-urgeschichtliches Museum samt Bibliothek einzurichten. Wie die kaiserlichen ethnographischen Sammlungen zuvor, so war auch dieses Museum mit Raumproblemen konfrontiert. Der Neubau des k. k. naturhistorischen Hofmuseums war die Lösung für die ethnologischen Sammlungen des Kaiserhauses und dieser Gesellschaft. In diesem 1889 eröffneten Museum, das sich mit seiner Betonung von Charles Darwins Evolutionstheorie von der Weltdeutung der römisch-katholischen Kirche emanzipierte, wurde eine anthropologisch-ethnographische Abteilung eingerichtet an deren Aufbau sich die Anthropologische Gesellschaft beteiligte. In dieser Abteilung war neben Ethnologie und Anthropologie auch die europäische Prähistorie vertreten. Das zugrundeliegende Ordnungsprinzip war eine evolutionistische Hierarchie, basierend auf einem „Rassen“-Konzept – von den sogenannten außereuropäischen „Naturvölkern“ und den vorhistorischen europäischen Völker als Vorstufen, zu den vermeintlich höheren Entwickelungsphasen des Menschen. Diese Selbsterklärung der Welt demonstrierte die Vorstellung einer Vormacht Europas, den Kolonialismus und den Triumph der modernen Wissenschaft. Einige dieser Klassifizierungsschemata, z. B. die Vorstellung von verschiedenen menschlichen "Rassen" und die Unterscheidung zwischen Volkskunst (einfach und statisch), Kunst und Hochkultur (komplex und dynamisch), sind bis heute gängig. Aufgrund der Konkurrenz durch andere Museen und Sammler versuchte die Abteilung, die Sammlungen schnellstmöglich zu erweitern, um dem damals erwarteten Verschwinden bestimmter Kulturen zuvor zu kommen und Sammlungslücken zu schließen; eine damals auch im Ausland übliche Praxis. So beabsichtigte man das materielle Erbe der Menschheit sicher zu stellen um ein umfassendes Studium ihrer Kulturgeschichte zu ermöglichen. Wie in früheren Zeiten erhielten „exotische“ Gegenstände weiterhin die Aufmerksamkeit des Museums.
Da ausreichende Finanzen fehlten, um Sammlungen käuflich zu erwerben, wurden alternative Strategien gewählt: Einzelpersonen wurden angeregt, dem Museum Objekte zu schenken, mit Privatsammlern und Museen wurde getauscht. Mitglieder des diplomatischen Korps und Kolonialbeamte trugen profund zur Erweiterung der Museumssammlung bei. Obwohl Österreich-Ungarn keine Kolonialmacht wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland war, war das Museum Nutznießer des Kolonialismus. Ein Beispiel ist die umfangreiche Sammlung aus dem Königreich Benin, welche von britischen Truppen erbeutet und dem Museum von einem Mäzen geschenkt wurde.